Es geht Ihnen nicht um Freiheit, Palmer

Foto: JJ Harrison / CC BY-SA 3.0

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Uff, ja, Palmer: Sie sind wie das Coronathema, man möchte nicht mehr über Sie reden, nichts von Ihnen lesen, aber es geht halt nicht, denn nun klimpern Sie auf dem Zeitgeistklavier natürlich los: Ihre eigene Partei will Sie canceln und damit zeigt sich doch, dass wir letztlich in einer Art verlängerter DDR leben usw. usf. In etwa so?

In etwa so.

Wer das verstehen will, muss wissen, dass ich als Kind meinen Vater in der JVA Stammheim besucht habe. Der engste Kontakt bestand darin, meine Hände auf eine Panzerglasscheibe zu legen. Er war 18 Monate im Gefängnis, unter anderem weil er Nazis Nazis nannte.

Was für ein Vergleich!

So wie Erika Steinbach, kürzlich ein Jurist und viele andere reaktionäre Menschen wollten Sie einen Punkt machen, dass man nämlich “N****” gefälligst noch sagen kann - und sei es in irgendeinem Pseudokontext: So muss Steinbach irgendwie ständig über ihre Lust auf Schokoküsse sprechen, der Jurist dringend den Struwwelpeter in einem Fachblatt über Arbeitsrecht zitieren und Sie eben ein ein Fake-Zitat-Zitat von einem Fake-Facebookprofil anbringen, also ein Fake-Fake-Zitat-Zitat.

Alles, damit Sie spitzbübisch “N****schwanz” ins Netz schreiben können, wie Zorro sein Initial auf die Bäuche seiner Gegner. Sie und andere N-Wort-Aficionados beweisen ganz schön viel Ausdauer und Kreativität, wenn es darum geht, Tabus zu brechen. Aber warum eigentlich?

Der Begriff “N****”, den ich aus Höflichkeit meist abkürze, ist rassistisch. Das ist bislang und seit einigen Jahren Konsens gewesen, was natürlich nicht bedeutet, dass man das Wort nicht mehr sagen darf. Man darf, Palmer! Ich habe es erst kürzlich in einem Text getan und wenn man sich mit einem Zitat auseinandersetzt, ist das Aussprechen des Zitats nicht alternativlos, aber doch irgendwie gerechtfertigt. Wie weit Identitätspolitik über das Ziel hinausschießen kann, zeigte kürzlich ein Fall, in dem die bloße Referenz auf das Ni-Wort den Job kostete. Oder jenen, in dem ein Füllwort auf Mandarin ("nèige”) zu sehr nach dem “N-Wort” klang und einem höflichen Professor anti-rassistische Kritik bescherte. Soweit, so absurd.

Vielleicht dachten Sie ja an solche Beispiele und wurden ein bisschen eifersüchtig, was die mediale Aufmerksamkeit angeht. Also haben Sie den Kommentar eines Ihnen komplett unbekannten Facebook-Nutzers zu einem angeblichen Aogo-Zitat zitiert, allerdings - puh, die Hektik! - auch noch ohne Anführungen.

Aber, Palmer, wozu denn eigentlich? Um was genau zu demonstrieren? Hier wird es interessant: Denn Sie setzen sich ja nicht mit dem Zitat auseinander, erklären daran irgendetwas oder distanzieren sich davon. Sie wollen Ihren Beitrag als “Ironie” verstanden wissen. Aber was ist das Ziel dieser Ironie? Dass man “jedem” Rassismus unterstellen könnte, sagen Sie, also auch Aogo. Das ist noch irgendwie knapp denkbar, wenn man denn meint, ein Schwarzer könnte gegenüber einem Schwarzen rassistisch sein (so wie offenbar auch Juden antisemitisch sein können) - aber Aogo ein Rassist gegenüber sich selbst? Hä? 

Machen Sie sich nichts vor: Es geht Ihnen nicht um Freiheit, Palmer, es geht Ihnen um Autorität. Sie protestieren nicht gegen den Staat oder Nazis. Sie streiten schlicht mit anderen - wachsenden - Teilen der Gesellschaft um Worte. Sprache ist Macht und Menschen, die gern “N****” sagen, verlieren gerade täglich Macht. Es sind die Menschen, die sich vor dem Genderstern fürchten, nicht weil er störend aussieht (das tut er), sondern weil er etwas anderes ist, neu nämlich. Es sind Menschen, die sich nicht wohlfühlen, wenn zu viele andere Menschen auf einem Werbeplakat dunkle Haut haben.

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Menschen wie Sie haben Machtverlustangst bis zum Anschlag. Und wer einem anderen vorschreibt, wie er zu sprechen hat, demonstriert Macht, ultimative Macht, das halten Sie natürlich im Kopf nicht aus.

“Das stellt diejenigen, die bis dahin alles bestimmt haben und dies weitgehend immer noch tun, also meist ältere Männer, in ihrem Selbstverständnis infrage.”

Das sagte kürzlich die Linguistin Damaris Nübling und meinte eigentlich das Gendern, aber ich habe das Gefühl, das gilt für viele sprachliche Veränderungen. Sprachgebote und -verbote sind Machtausdruck, egal, in welcher Richtung. Mike Pence will Kamala Harris beherrschen und sie verbietet ihm den Mund.

Wie sehr Sprachregeln für einen männlichen Machtkampf taugen, kann man sehr gut in Filmen beobachten: In “There will be Blood” ist das Sprechen und Macht über Sprache das prägende Thema in der Rivalität zweiermachthungriger Männer. Wer unterbricht wen? Wer schreibt wem eine Formulierung vor? Wer presst dem anderen eine peinliche Beichte ab? Zwischendrin wird ein Kind taub und entzieht sich somit dem verbalen Zugriff des autoritären Vaters.

John Wayne ist wiederum ein ganz unironisches Beispiel stimmlich-sprachlichen Machtgebarens: Er bellt in immer gleicher Tonlage seine Kommandos und bringt damit eine Karawane zum Stehen, steuert Handlung, Kamera, den ganzen Film. Sie sind einer der vielen John Waynes der Sprache da draußen: Sie wollen Ihre alten Wörter zurück, die alte Zeit, das Vordigitale, alles eben: alt, alt, ALT. Es sind überforderte eitle Männer wie Sie, denen alles zu schnell geht und die sich darüber auf, natürlich, Facebook beschweren. Auf Facebook, weil sie seit 10 Jahren nichts Neues mehr probiert haben.

Und “N****” nicht auszuschreiben, das ist für Sie eben auch, schwer zu glauben, neu. Dieses Verbot ist Ihr “I’m speaking”. Da muss man sich erstmal dran gewöhnen. Und das wollen Sie nicht.

Aber, Palmer, das ist doch das Wesen des Menschen: Er lernt. Er verändert sich. Er wandelt die Laute, die sein Maul verlassen, damit andere Menschen - Schwarze - sich nicht schlecht fühlen müssen. Aus Rücksicht. Spannend oder? Aber diesen Konsens kündigen Sie auf, weil Sie meinen, am Beispiel “N****schwanz” eine Gesellschaftsdebatte führen zu müssen, was die Frage aufwirft, wie es in Ihrem Zugabteil eigentlich aussehen soll.

Es geht ums Sprechendürfen und Hörenmüssen. Aber es geht nicht um Meinungsfreiheit, Palmer, denn die wird grundsätzlich nicht von Kritik bedroht, sondern von staatlichen Eingriffen oder der Gewalt Dritter. Sie soll Stimmen ermächtigen, nicht andere unterdrücken. Die Meinungsfreiheit ist ein Schutzschild und kein Schlagstock. Sie, Palmer, missbrauchen den Freiheitsbegriff. So, wie vor Ihnen andere den aus der Schwarzen Kultur stammenden Begriff der “Cancel Culture” für die eigene weiße Weinerlichkeit entwendet haben.

Das ist ein Problem. Ihre Eitelkeit und Verletzungsbereitschaft gegenüber anderen verdrängt echte Freiheitsthemen. Es gibt nämlich echte Gefahren für die (Meinungs-)Freiheit im digitalen Raum, etwa durch die Formalisierung und Technisierung der Sprache, übereifrige Sperren durch Plattformen, neue “Compliance”-Ansätze für die Regulierung sozialer Netzwerke, die Desavouierung der Presse in der Öffentlichkeit, Übermacht der Regierungs-PR und, und, und. Die Pressefreiheit in Deutschland leidet an der Gewaltbereitschaft unter Querdenkern und anderen neuen rechten Bewegungen.

Bei Ihnen geht es nicht um Freiheit, sondern geistiges Verharren. Und da können Sie von einem Gelbhaubenkakadu das eine oder andere lernen.

Kakadus sind diese tanzenden Vögel, es gibt da einige Videos und gerade hat Iggy Pop so einen Vogel präsentiert - ein richtiger kleiner Headbanger. Und wissen Sie, warum diese Vögel tanzen können, fast so wie Menschen? Es ist faszinierend: “Beide können singen und neuartige Laute erlernen”, schreibt der ORF, ihnen sei nämlich “die Weltoffenheit quasi eingeschrieben”. Tanzen und Singen fußen also auf geistiger Beweglichkeit.

Sprachlicher Wandel heißt, gesellschaftlichen Wandel hinzunehmen - auch wenn das bedeutet, dass im Werbe-ICE-Abteil ein paar Menschen mit dunkler Hautfarbe sitzen und man rassistische Begriffe meidet.

Deshalb, Palmer, habe ich nur eine Frage: Können Sie tanzen?

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