Anti-Rassismus ist ein Kartoffeljob

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Die Reaktionen der Juristenszene auf einen rassistisch konnotierten Text in einer Fachzeitschrift zeigen einmal mehr: Weiße Deutsche reden nicht so gern über Rassismus, auch wenn sie es gern würden und sollten. Das Thema scheint ihnen vermint zu sein oder reserviert für Grüne, Linke und Betroffene. Das ist ein Irrtum.

Zur Erinnerung, weil es schon ein paar Empörungsjahrzehnte her ist: In einem Text für die “Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht” im renommierten C.H. Beck-Verlag schrieb ein Jurist kürzlich die Worte “Schlitzauge”, “Neger” und “Mohr” und er sprach davon, dass bestimmte Körpermerkmale von Asiaten und Schwarzen “stören” würden. Für Übermedien habe ich letzte Woche über die Affäre geschrieben (“Aus Freude am Rassismus”). Der Verlag hat ein eher dürres Statement abgegeben und sich gegenüber LTO geäußert.

Der Fall ist an sich schon bemerkenswert - interessant sind aber auch die vielen Reaktionen, die mich in den folgenden Tagen erreichten. Darunter waren direkte Nachrichten, manche davon mit der Bitte um Diskretion, manche sogar komplett anonym.

Manche mutmaßten, mir ginge es um einen Boykott des Beck-Verlags. Das wäre unsinnig, in etwas so, als würde man in Greifswald keinen Aal mehr essen, wenn in Kiel einer in die Förde pinkelt. Dennoch schrieb ich von anderen Verlagen, die auch schönere Töchter hätten. Das habe ich gemacht, weil ich überzeugt bin, dass viele Juristen davor zurückschrecken, es sich mit Hans Dieter Beck und seinem großen, großen, sehr großen Verlag anzulegen. Es sollte die Qualität eines Fachaufsatzes entscheiden, also juristische Argumente, geistige Präzision, klare Sprache und womöglich Esprit und nicht, welche drei Buchstaben die Fundstelle angeben.

Doch meine Befürchtung war nicht unberechtigt, wie eine Zuschrift belegt:

“Ich hatte die causa (…) bereits mit einer Kollegin diskutiert und gemeinsam überlegt, wie laut man da aufschreien darf, ohne die eigene Karriere in Gefahr zu bringen. (Schon darüber nachdenken zu müssen, ärgert mich.)”

schreibt ein Rechtswissenschaftler mit allerlei akademischen Würden und renommierter Stelle an einem Forschungsinstitut.

Kritik an rassistischen Tönen sollte nicht allein bei jenen liegen, die von Rassismus unmittelbar betroffen sind. Nicht nur, dass das Problem damit weiterhin den Nimbus der Randerscheinung behielte - es kann die Betroffenen auch ermatten, immer wieder dieselben Debatten zu führen.

So schreibt ein schwarzer Doktorand, allerdings ebenfalls aus Sorge um die eigenen Karriereaussichten mit der Bitte um Diskretion:

“Es ist nicht so, dass man in dieser Position ständig Rassismus begegnet, aber solche Momente wie (der Autor des Fachbeitrags) ihn uns beschert hat, treten doch gelegentlich auf. Man will als ‘Betroffener’ nicht immer seine Zeit darauf verwenden, auf so etwas zu antworten”

Immerhin, es rumort. Eine Zuschrift erreicht mich aus den Tiefen des Beck-Verlags, von einer anonymen E-Mail-Adresse. Er oder sie nennt den Abdruck “unfassbar und mich ärgert die Reaktion des Verlages maßlos”. Der Beitrag hätte sofort von der Seite genommen werden müssen, zudem hätte der Verlag Abonnenten “einen Neudruck anbieten müssen”. (Ich kann die Authentizität nicht überprüfen.) Der Verfassungsblog hat unter dem Titel “Rassismus ist nicht Meinungsvielfalt” einen offenen Brief initiiert und mehr als 500 Kommentare und vermutlich in etwa so viele Unterzeichner gesammelt.

Auch außerhalb der Juristenblase gibt es Reaktionen: Ein Journalist zeigt sich “entsetzt”. Den einen oder anderen Ausdruck kenne er, ihn habe man “Kongolippe” und “Schlitzi” genannt - aber da seien “Bonus-Sachen” drin.

Der Verlag selbst berkommt den Fehlgriff zu spüren: Aus dem Herausgebergremium einer Beck-Zeitschrift erreicht mich die Nachricht, man habe “sehr offen über den Vorfall gesprochen, um für uns die Verantwortlichkeiten des Weges bis zur Veröffentlichung nochmal zu klären, damit so etwas nicht auch bei unserer Zeitschrift passiert”. Das Problem wird also einmal nicht kleingeredet.

Der Fachautor und Verwaltungsrichter Malte Engeler greift dann doch zum Boykott und lässt nach Rücksprache mit C.H. Beck einen Verlagsvertrag platzen. Der “Entschuldigung” in der Sache “mangelt es an Problembewusstsein und Konsequenz”, schreibt er.

“Wir brauchen dringend in der Rechtswissenschaft mehr Wissen über Rassismus und die verschiedenen Formen von Diskriminierung”, mahnt die Präsidentin des Juristinnenbundes, Maria Wersig. “Es kann nicht sein, dass diese Auseinandersetzung als fern des Fachs geduldet oder gar belächelt wird & solche Texte unhinterfragt erscheinen”. Als ein Kommentator daraufhin die Angelegenheit als einfaches Versagen im Verlag deutet, widerspricht ein Anwalt: Die Profession im Allgemeinen habe durchaus ein Problem mit Rassismus.

Aus dem eigenen Anekdotenfundus kann ich beipflichten: Alltagsrassismus, wenn man den so nennen möchte, gibt es natürlich auch unter Juristen. Da wird ein Deutscher türkischer Herkunft nach der Mittagspause schon einmal von seinem Chef gefragt, wie der Döner geschmeckt hat. Na und, fragt der Weiße, aber das ist eben das Problem: Kontext ist King. Als Mesut Özil vor gut einem Jahr wegen rassistischer Anfeindungen zurücktrat und Deutschland über Rassismus debattierte, hörte ich immer wieder Ungläubigkeit bei meinen weißen Mitmenschen: So ein großes Problem ist das doch nun auch wieder nicht, was soll denn die Aufregung. Ein Blick in die Rechtsprechung zeigt etwas anderes.

Zugegeben: Antirassistische Kritik wird nicht dadurch leichter, dass eine insgesamt reichlich überreizte Atmosphäre gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen vorherrscht - und Identitätspolitik zu einer Art Hochleistungssport mutiert ist. Unter dem Übermedien-Beitrag sammelte sich allerlei aufgeregte Kritik dazu, dass im Text über den Beck-Aufsatz diverse rassistische Zitate unkenntlich gemacht sind. Das sind die Usancen von “Übermedien”, denen ich mich schlicht angepasst habe (so, wie ich bei der F.A.Z. niemals “weltweit” geschrieben habe - jede Redaktion hat ihre eigenen sprachlichen Vogeleien). In meinem Textmanuskript hatte ich das N-Wort hingegen tapfer ausgeschrieben. Inzwischen bin ich nicht mehr so sicher, ob das richtig ist.

Es gibt jenseits von klar rassistischen Dingen einen weiten Bereich, in dem Sprache in der Entwicklung steckt. Das verursacht Schmerzen - so, wie manchen Kindern die Knie weh tun, weil die distale Femurwachstumsfuge Ärger macht. Da können Dinge dem einen übertrieben und kleinlich scheinen und andere erwarten gerade diese Vorsicht, zwischen beiden Seiten knallt’s dann. Thommy, ich, viele andere weiße Deutsche sind da ja in einem andauernden Lernprozess. Diesen Prozess mit all seinen Nebengeräuschen und Störgefühlen anzunehmen, ist Teil der Lösung. Uns allen gehört die Sprache, deshalb hat jeder, schwarz oder weiß, ein Recht zur Mitsprache.

Also: Sollte man das N-Wort ausschreiben?

Das N-Wort schreibt man wohl eher nicht, wenn auch Schwarze den Text lesen sollen. Selbst hartgesottene Verteidiger der klaren Sprache dürften sich das Wort verkneifen, wenn sie gerade mit einem Schwarzen sprechen. Diese fühlen geradezu körperlichen Schmerz durch diese Bezeichnung - so beschreiben es Schwarze jedenfalls gelegentlich und ich glaube nicht, dass ich als weißer Mann aus Schleswig-Holstein das irgendwie sinnvoll hinterfragen kann. Ich weiß schlicht nicht, wie sich so etwas anfühlt. Wenn jemand mich als Kartoffel bezeichnet, finde ich das allenfalls nervig.

Das heißt nicht, dass ich als Weißer gegenüber rassistischen Vorwürfen immun wäre: Im Zwiegespräch auf Twitter habe ich einmal einer prominenten Kritikerin türkischer Herkunft vorgeworfen, sie verhalte sich mir gegenüber einfach nur rassistisch, weil sie mir aufgrund meines Weiß-seins mangelnde Urteilsfähigkeit vorgeworfen hat. Das war mein schlimmstes Rassismuserlebnis überhaupt und, ehrlich gesagt, so schlimm war es dann wieder nicht. Nicht, wenn man sich mal ein paar Sachen anhört, die Schwarzen, Türken, Arabern und auch Asiaten widerfahren und sich vergegenwärtigt, dass der Kontext entscheidend ist: Wer mich als Kartoffel bezeichnet oder mit Stereotypen bedenkt, macht das nicht aus einer Machtposition heraus. Niemand rottet sich zusammen, um ein paar Weiße zu verprügeln, niemand heckt den Plan aus, alle Weißen auszurotten oder zu versklaven. Die Bezeichnung als Kartoffel ist schlimmstenfalls nichts anderes, als wenn ich einen anderen Weißen als Arschgesicht bezeichne.

Geistige Amputationen wenn es um das N-Wort geht

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Andererseits, das zeigt der Rauswurf von Donald McNeil bei der “New York Times”, limitiert die totale Tabuisierung von Begriffen die intellektuelle Auseinandersetzung, sei es wissenschaftlich, journalistisch-publizistisch oder in Form von Satire und Komik. Manche der besten Comedy-Bits, etwa von Louis C.K., behandeln sprachliche Tabuisierung, die Freude am Tabubruch und die heikle Frage, wie man sich denn nun richtig verhält. Louis C.K. spricht etwa über das “N-Word”, das innerhalb eines seiner Bits nur ein Weg für Weiße sei, endlich “Ni****” zu sagen - nur, dass sie den Zuhörern die Drecksarbeit überlassen: “That’s just white people getting away with saying the word ‘nigger’”.

Von verbalen Verletzungen können nicht nur Schwarze berichten. In der ebenfalls von Louis C.K. produzierten Serie “Louie” gibt es eine Szene, in der Louie und seine Freunde über das Wort “Faggot” sprechen, ein absolut verpönter Ausdruck für Schwule. Die Szene zeigt Freunde beim Pokern und eine Unterhaltung, in der ein Schwuler dem Comedian Louie (Louis C.K.) die Bedeutung des Wortes erklärt, über Gewalt gegen Homosexuelle spricht und was das Wort bei Schwulen auslöse. Die Szene endet mit einem Witz, natürlich (“Well thanks, Faggot, we’ll keep that in mind!”), es bleibt aber Nachdenklichkeit und Empathie. Solche Tabubrüche in einer Comedy-Serie halte ich für angemessen und sogar unerlässlich. Es braucht eben noch etwas Spielraum, um überhaupt eine Auseinandersetzung zu erlauben. Wenn bestimmte Begriffe nicht mehr verwendet werden dürfen, ist das geistige Amputation.

Die “Louie”-Szene markiert einen wichtigen Unterschied: Reflektierter, empathischer und doch kritischer Umgang ist wohl etwas anderes, als sich nach Art mancher Kommentatoren die Finger in die Ohren zu stecken, “lalala ich hör Dich nicht” zu singen und darauf zu bestehen, dass man als weißer alter Cis-Dude Wörter wie das N-Wort, Z-Wort oder eben “Faggot” sagen möchte.

Mit diesem Argument lässt sich gut vertreten, Kinderbücher und -lieder (“Zehn kleine Negerlein”) unangetastet zu lassen. Die Geschichte lässt sich nicht mehr ändern, aber die Aussprache der fraglichen Wörter verletzt und verstetigt womöglich Strukturen, die herabwürdigen und ausgrenzen. Die Auseinandersetzung mit den Büchern muss möglich bleiben - dazu muss man aber nicht “Zehn kleine Negerlein” singen oder das entsprechende Büchlein etwa im Zeugenraum eines Gerichts auslegen (ja, das ist wirklich passiert).

Aber Freiheit!

Liebe Liberale: Es ist nicht so leicht zu beantworten, was eine freiheitliche Perspektive auf das Themengebiet eigentlich bedeutet. Denn zur Freiheit gehört das Tolerieren - frei ist nämlich nicht, wer herabsetzende Begrifflichkeiten aus der Kolonialzeit hinnehmen muss, weil es dem Freiheitssinn der ohnehin dominanten Bevölkerungsgruppe entspricht.

Es ist also kompliziert, da gibt es nichts zu rütteln. Wer aber die Debatte um Begriffe und Rassismus nicht einer Bubble von woken Identitätsaktivisten überlassen will (was dann passiert, kann man an der Sendung “Die Beste Instanz” sehen, eine Reaktion auf die WDR-Sendung “Die letzte Instanz”), muss sich da wohl durchwühlen, womöglich auch einmal den Tritt in einen Fettnapf riskieren.

Das geht nicht ohne höflichen Streit: Ein (weißer) Journalist schrieb mir sinngemäß, ob es nicht problematisch sei, wenn man Schwarze aus Angst vor rassistischer Konnotation nicht mehr - wie etwa Weiße - mit Affen assoziieren dürfe: “Wäre es nicht auch schön, wenn ein kleines schwarzes Kind einen Pullover mit Affe tragen könnte, ohne dass jemand an Rassimus denkt?” Ich denke, schwarze Kinder können anziehen was sie wollen - aber eventuell sollte ein weiß dominierter Modekonzern keine schwarzen Kinder zu Werbezwecken in Affenpullis stecken. Kontext ist eben King.

Die empathische Auseinandersetzung ist durchaus auch ein Gebot der Solidarität. Morgen, am 19. Februar 2021, jährt sich das Attentat von Hanau. Der Umgang damit - Stichwort: Karneval feiern, während politisch etwas aufgewecktere Bürger am Brandenburger Tor der Toten gedenken - war und ist nicht unbedingt ein Beleg dafür, dass die deutsche Gesellschaft bereits geschlossen gegen Rassismus steht.

Deshalb sei erinnert: Anti-Rassismus ist auch ein Kartoffeljob.

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