Europas neue Furcht vor den Plattformen

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Der Jubel über die Trump-Sperren ist verklungen, auch die Bundeskanzlerin hat sich nun kritisch in die rechtliche Debatte gewagt. Es geht nun auch um eine Machtfrage. Wir Europäer sind oft abhängig - bei Batterien, der Cloud und nun sogar in Sachen Diskurs. Die neue Tatkraft der Plattformen könnte Europas “digitale Souveränität” auf ganz neue Weise bedrohen.

Am Montag Nachmittag kommentierte die Kanzlerin ein netzpolitisches Ereignis im Ausland und spätestens da war klar: Es geht grad um mehr als juristische Feinheiten. Sie sehe die Sperren gegen den US-Präsidenten kritisch, ließ Merkel durch ihren Regierungssprecher verkünden. Nun ist auch EU-Vizepräsidentin Věra Jourová eingestiegen: Sie sieht in Techkonzernen eine Gefahr für die Meinungsfreiheit und forderte von diesen mehr Transparenz und Rechenschaft, sagte sie am Mittwoch “Politico”.

Die neuen Alliierten Trumps sind damit allmählich so bunt wie ein Yps-Heft: Dazu gehören neben der Kanzlerin und der EU-Kommission inzwischen auch der Putin- und Novitschok-Überlende Alexei Anatoljewitsch Nawalny und der NSA-Aussteiger Edward Snowden, aber auch Mexikos Staatschef Andres Manuel Lopez Obrador und der Sohn von Brasiliens Machthaber Eduardo Bolsonaro.

Der Zwischenruf der Kanzlerin lässt jedoch besonders aufhorchen: Angela Merkel verschießt ihre Kommentare normalerweise nicht mit der T-Shirt-Kanone. Hat die Physikerin ein Bewusstsein für Verfassungshygiene und die mahnenden Stimmen vieler Juristen entdeckt?

Schön wäre das. Wenn die CDU sich für Soziale Medien interessiert, geht es meist um die CDU. Auch beim im Wesentlichen von der SPD erfundenen Gesetz gegen Hassrede (NetzDG) war die Union vor allem für die eigenen Leute in den Ring gestiegen - bis hin zum in Netzdingen weitgehend ahnungslosen Volker Kauder (“Wenn das Netz weiter lügt, ist mit Freiheit Schluss”). Wer sich damals in der Unionsfraktion umhörte, lernte schnell, worum es vielen Mandatsträgern eigentlich ging: Um sich selbst. Gerade in den hinteren Reihen ist man nämlich nicht gewohnt, von morgens bis abends beschimpft zu werden, genau das aber beschrieben viele als tägliche Realität im Internet. Der Politik, zumal der Kommunalpolitik, drohten die Leute davonzulaufen: Mittelviel Geld, schlechte Work-Work-Balance, Online-Hetze und - seit der Ermordung Walter Lübckes und dem Anschlag auf Henriette Reker - womöglich auch Tod durch Hass, das klingt nach einem Scheißjob.

Bei Merkels Wortmeldung dürfte es um eigene Interessen gehen.

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Die Kanzlerin denkt, so sagt man, vom Ende her. Sie erkennt den Trend, wenn inzwischen nicht nur Zwitscherdienste, sondern auch etliche Infrastrukturanbieter Trump den Teppich unter den Füßen wegziehen (hier eine aktualisierte Liste von Axios).

Und so kommen wir der Motivlage der Kanzlerin mutmaßlich näher: Vor allem Infrastrukturanbieter sind eigentlich komplett unpolitisch. Sie mischen nicht mit, sie meinen nicht, sie sind auch bei Debatten um Hassrede außen vor - nur bei Terrorismus und Kinderpornografie liegen Grenzen.

Was, wenn die Techkonzerne nicht einen entsicherten Noch-Präsidenten mit der Macht zum Atomschlag sperren, sondern die deutsche Bundeskanzlerin? Natürlich: Angela Merkel ist nicht für verbale Ausfälle bekannt. Sie ist nicht selbst auf Twitter unterwegs. Allerdings macht das für sie Steffen Seibert. Ihm folgen knapp eine Million Menschen, vielfach dürfte es sich um wichtige Multiplikatoren handeln - Journalisten, die Botschaften aufnehmen, weitergeben, kommentieren, einordnen und damit für Reichweite sorgen. Merkel ist auch “auf Insta” (1,6 Millionen Abonnenten) und teilt dort hübsche Bilder. Soziale Medien sind also integraler und enorm wichtiger Bestandteil politischer Kommunikation. Und doch sitzen Amerikaner am Lautstärkeregler.

Eine Laufmasche im Gewebe des digitalen Kommunikationsraums

Es muss ja nicht gleich eine Sperre drohen. Doch wenn nun an der Idee gerüttelt wird, Plattformen aus der Neutralität zu reißen, entsteht womöglich eine Laufmasche im Gewebe des digitalen Kommunikationsraums. Es beginnt klein und wird irgendwann unangenehm. Wenn die Trump-Sperre richtig ist - fehlt dann nicht hier und da Konsequenz? Muss nicht, wer Trump sagt, auch Ajatollah sagen? Sind Reichsbürger wesentlich ungefährlicher als die gesperrten QAnon-Anhänger? Ist es von den Reichsbürgern noch ein weiter Schritt zur AfD? Zur Werteunion und Hans Georg Maaßen? Oder einfach nur sehr konservativen Politikern in der CDU? Im Zuge der NetzDG-Debatten hatte man auch in der Union schnell gemerkt, dass das übereifrige Löschen von “Hassrede” auch mal die eigenen Erzkonservativen treffen kann.

Die Europäer und ihre Parteivorsitzenden, Minister und Regierungschefs schreiben, diskutieren, lieben und streiten hauptsächlich auf amerikanischen Plattformen, so, wie sie amerikanische Software im Büro nutzen, amerikanische Fahrdienste nutzen, amerikanisch nach Ferienwohnungen suchen und ihre Daten auf amerikanischen Cloud-Diensten lagern. Im Falle von Sozialen Netzwerken hat das lange niemanden so richtig gestört, schon gar nicht unter dem in Industriekreisen bekannten Reizwort “Digitale Souveränität” - doch je härter Staaten ins Geschehen eingreifen, desto weiter steigt die Nervosität.

Die Trump-Sperre sorgt jetzt geradezu für einen Fieberschub.

Manche Medien haben schon vorher gefordert, Europa müsse nun seine eigenen Kommunikationsräume bauen - etwa die FAZ (“Wir brauchen ein eigenes Netzwerk!”). “Europa” (also der Staatenverbund) ist zu so einer technischen Leistung aber überhaupt nicht im Stande, wie man an absolut jedem einzelnen Staatsunternehmen, gescheiterten Staatswikipedien und Staatssuchmaschinen leicht erkennen kann. Und wer meint, sich mit Ungarn oder Polen auf Grenzen der Meinungsfreiheit einigen zu können, kann genauso gut Twister gegen Spiderman spielen.

Die Lösung wird anders aussehen: Die Plattformen werden sich stärker rechtfertigen müssen, nicht nur fürs Stehenlassen, sondern fürs Löschen, wie die EU-Kommission und auch Rechtspolitiker in Deutschland fordern. Der Einfluss der Mehrheitsmeinung auf Plattformen und ihre Nutzer steigt. Der digitale Meinungskorridor verengt sich künftig für alle. Geht es nicht anders?

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