Facebook sperrt Trump - aber ist das gut?

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Der Sturm aufs Capitol ist das Schlussbeben einer insgesamt erschütternden Präsidentschaft. Facebook und (zeitweise) auch Twitter haben den amtierenden Präsidenten der Vereinigten, Donald Trump, gesperrt. Da wird jetzt viel gejubelt, weshalb jemand dringend Wasser in den Wein kippen muss: Denn passiert ist da ein folgenreicher Tabubruch.

Zwei Familien herrschen über die digitalen Kommunikationsräume der Welt, sie kennen einander und wollen keinen großen Streit miteinander. Die eine Familie besteht aus den Gesetzgebern der Staaten auf der ganzen Welt. Sie geben den Sozialen Netzwerken und ihren Nutzern die Regeln vor. Sie bestimmen, was man sagen und schreiben darf - und was nicht. Sie verbieten Beleidigung und Gewaltaufruf, aber auch Holocaustleugnung oder Beleidigung des Türkentums, je nach dem. Die andere Familie sind die Konzerne selbst. Sie respektieren die Regeln der Gesetzgeber mal mehr und mal weniger, sie verbieten außerdem noch “Hassrede”, Nippel und manchmal sogar das Spoilern von Kinofilmen.

Wie alle Herrscherfamilien fragen auch Gesetzgeber und Techkonzerne sich manchmal, wer von den beiden wohl mächtiger ist. Juristen springen jetzt eifrig auf, denn sie wissen eine Antwort: Rechtlich gesehen sind es ganz klar die Gesetzgeber! Wenn sie eine Äußerung untersagen, müssen die Plattformen es umsetzen. Juristen bekommen deshalb dieser Tage Kopfweh, denn die Realität ist schon wieder anders als die Theorie: Das letzte Wort, das zeigt jetzt das Vorgehen gegen Trump, liegt nämlich praktisch doch bei den Konzernen. Sie haben diese Macht bisher kaum unmittelbar gegen den Staat genutzt. Es gab schließlich keinen Anlass: Ein Politiker will eher selten öffentlich Nippel posten oder seinen Followern das Ende von “The Midnight Sky” verraten. 

Ist Trump verantwortlich für die vier Toten in Washington?

Donald Trump hat sich auf diese (halbwegs) friedvolle Koexistenz der Herrscherfamilien ausgewirkt wie ein Hurricane auf eine Partie Mikado. Die Masse an Falschinformationen des Noch-Präsidenten nötigte die Plattformen, die Posts mit warnenden Etiketten zu versehen, als wäre Trump eine Flasche ätzender Toilettenreiniger. Und nun haben Twitter und Facebook dem König des Pöbelns seine Tröte komplett weggenommen - Deplatforming im Wortsinne. Facebook begründet das damit, dass Trump das Vorgehen der Aufständigen am Washington Capitol billigte und zur Gewalt aufrief, Twitter nannte es eine Störung demokratischer Prozesse. Der Tenor ist überwiegend ein “na endlich”.

Vier Menschen sind bei den Unruhen in Washington ums Leben gekommen. Trump für Gewalt verantwortlich zu machen ist ein schwerwiegender Vorwurf, aber man möchte als Beobachter sofort beipflichten, so, wie man womöglich allem reflexhaft zustimmen möchte, was diesen Mann und seine gewaltfreundliche Politik stoppt. 

Aber …stimmt der Vorwurf denn eigentlich?

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Würde ein Gericht die Tweets und Aussprüche des Präsidenten filetieren müssen, wäre die Sache nicht so einfach. Im Lichte der Meinungsfreiheit ist es eben nicht schon ein Gewaltaufruf, wenn sich eine Menge durch allgemein Sätze und Empörungen zu Straftaten aufstacheln lässt. "Trump hat nicht gesagt “stürmt das Kapitol”. Er hat nicht gesagt “reißt Nancy Pelosis Namensschild ab, klaut ein Rednerpult und, wenn’s keine Umstände macht, setzt doch bei der Gelegenheit ein paar Fernsehkameras in Brand”. Er hat gesagt: “Wir lieben Euch. Ihr seid sehr besonders.”
Seine Äußerungen zu den Unruhen sind natürlich kalkuliert und in ihrer Wirkung brutal. Trump ist für die Gewalt politisch verantwortlich - aber nicht unbedingt rechtlich. Bisher sieht unsere Rechtsordnung vor, dass auch politische Brandstiftung erst über den juristischen Transmissionsriemen die Meinungsfreiheit beschränken kann, etwa durch Straftatbestände oder die sehr engen Möglichkeiten der Parteiverbote. Man braucht gute Argumente, wenn man eine Liebeserklärung juristisch als Gewaltaufruf deuten will.

Dem Schurken ist der Mund verklebt

Wagen wir das Gedankenexperiment: Angenommen, die Plattformen haben hier beherzter zugegriffen, als es das Recht und ihre Hausregeln erlauben. Etwa, weil Trump sich eben auf Andeutungen (dog whistles) beschränkt, aus denen sich nicht ohne jeden Zweifel ein Gewaltaufruf lesen lässt. Was hätte das für Folgen? Es bedeutet: Die jahrelang schlummernden Machtfrage zwischen den Herrscherfamilien wäre entschieden, vor den Augen der ganzen Welt. Die Herrscherfamilie der Tech-Konzerne hätte sich gegen die andere durchgesetzt.

Jeder Mensch mit Herz muss bejubeln, wenn dem skrupellosen Schurken, der Donald Trump ist, der Mund verklebt wird. Aber der Verstand sollte Zweifel zulassen. Denn anders als ein Staat ist ein privater Konzern nicht demokratisch legitimiert. Er unterliegt keinen Wahlen. Was Mark Zuckerberg oder Jack Dorsey gut und richtig finden, ist allein ihre Meinung. Zuckerberg und Dorsey hat niemand gewählt, sie sind als Private - anders als der Staat - nicht einmal unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Was der Repräsentant des Volkes sagen kann, ist nicht mehr durch das Volk bestimmt. Durch die überschießende Einhegung der staatlichen Kommunikation entsteht ein Demokratiedefizit.

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Trump hat diesen Streit der Herrscherfamilien aufziehen sehen. Er wollte die Plattformen mit neuen Regeln in den Griff bekommen - freilich nicht aus demokratietheoretischem Hygienebedürfnis, sondern aus brachialem Machtkalkül: Damit Twitter und Co. ihm nicht in die Quere kommen dürfen (Reform der “Section 230”).  

Es ist möglich, dass dieses Einschreiten von “Big Tech” eine Singularität bleibt, ein Akt der Nothilfe aus dem Gemeinwesen heraus, Widerstand gegen einen Verfassungsfeind im Inneren. Die Plattformen haben sich lange geziert, gegen Hass und Hetze vorzugehen. Kritiker sagen, das geschah aus Sorge um Einnahmen. Man kann auch schlicht vermuten, dass sie die rechtlichen Untiefen des Äußerungsrechts und Gerichtsprozesse scheuten. Wie auch immer: Jetzt setzen die Sozialen Netzwerke Kurs auf gewaltige juristische Untiefen.

Wie entscheiden die Plattformen beim nächsten Populisten? Schneller als jetzt, wie oft gefordert? Zu schnell?

Setzt ein Staat sich Twitter-Grenzen?

Womöglich sollten die Gesetzgeber die politische Kommunikation auf privaten Plattformen begrenzen - der Technologiejurist Nikolaus Forgó und andere fordern bereits eine grundsätzliche Debatte über die Plattformverantwortlichkeit.


Das klingt gut, birgt allerdings große Risiken. Denn wie würde diese Regelung aussehen? Kein Staat setzt den eigenen PR-Möglichkeiten prophylaktisch Grenzen für den Fall, dass womöglich mal ein narzisstischer Populist gewählt wird, der einen Mob ins Allerheiligste hetzt, das Parlament. Im Gegenteil: Der Staat baut seine Social Media-Aktivitäten aus und ersetzt dadurch weite Teil der Pressearbeit - auch in Deutschland. Der Staat verschenkt ohnehin keine Machtoptionen, vor allem nicht in Mediendingen. Die Bundesrepublik hat sich bis heute noch nicht einmal durchringen können, einen gesetzlichen Informationsanspruch für Journalisten zu schaffen. Die Regeln für Pressestellen sind wachsweich und ausschließlich durch die Rechtsprechung geprägt. Nein: Jegliche Gesetzgebungsinitiativen werden der Machtverfestigung dienen, nicht ihrer Begrenzung. Es wird strengere Grenzen für Nutzer geben, nicht aber exklusiv für Hetzer im Staate.

Wie wird eine Regelung aussehen, die das Aufstacheln durch Populisten allgemein begrenzt, ohne gleich ganze Kategorien von Äußerungen zu verbieten? Oder soll etwa Facebooks Politik gegen QAnon allgemein gelten? Dann müssten Staaten künftig Verschwörungstheorien verbieten, auch wenn sie nicht zu Gewalt aufrufen. Verbieten wir den Querdenkern soziale Medien? Warum nicht auch gleich das Demonstrieren oder den Toilettengang?

Der Staat reguliert seit dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz in die Freiheit der Sozialen Netzwerke und verengt damit die Kommunikationsräume von Milliarden - ob nun zum Besseren oder Schlechteren sei dahingestellt. Zunächst hatte der Gesetzgeber das unvermeidliche Overblocking unterschätzt, also das Löschen von legalen Inhalten. Jetzt will der Gesetzgeber korrigieren: Künftig sollen sich Plattformen für Löschungen rechtfertigen müssen, sogar dann, wenn sie nur die eigenen Hausregeln umsetzen.

Die EU hat sich bei ihrer großen Digitalreform (Digital Services Act) im letzten Moment dagegen entschieden, die Sozialen Netzwerke auch in Sachen Meinungsfreiheit durchzuregulieren - doch nach dem Sturm aufs Capitol könnten das manche Politiker bereuen.

Die kommenden Monate werden zeigen, wie sehr dieser Präsident die Freiheit im Netz zertrampelt hat. Die Folgen werden wir noch in vielen Jahrzehnten in unseren digitalen Kommunikationsräumen spüren - wie auch immer diese dann aussehen.


Ergänzung 8. Januar 2020, 11:33 Uhr: Wie immer ist die fleißige und stets kritische #Jurabubble schon dabei, das Problem zu sezieren:

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Europas neue Furcht vor den Plattformen